Von Jessica Buxbaum, 5. September 2023, zuerst veröffentlicht auf Mintpress News
[Vorbemerkung d. Übers.: Inwieweit Religion in der Politik des selbsternannten "Jüdischen Staates" Israel eine gewisse Rolle spielt und welche Formen dies annehmen kann, interessiert mich schon seit Jahren. Auf dieses spezielle Thema nun haben mich Ausführungen - insbesondere von Dirk Pohlmann - in der 97. Ausgabe von "Das 3. Jahrtausend" hingewiesen. Und da der Artikel sogar noch über einen Monat vor den Ereignissen des 7. Oktober verfasst wurde, haben ich ihn für eine genauere Betrachtung ausgewählt.]
Seit 1967 ist es Nicht-Muslimen erlaubt, Al-Aqsa [das Al-Aqsa-Moscheegelände auf dem Tempelberg in Jerusalem, Anm. d. Übers.] zu besuchen, aber nicht an der heiligen Stätte zu beten. Doch dieser Status quo ist in den letzten Jahren rapide ins Wanken geraten, da israelisch-jüdische Siedlergruppen mit der Regierung zusammenarbeiten, um die Kontrolle über das Gelände zu übernehmen.
Nach jüdischem Recht muss die Asche einer roten Färse (junge weibliche Kuh) über den Haram al-Sharif gestreut werden, bevor die Juden ihn besteigen und den Dritten Tempel wieder aufbauen können. Während die Jagd nach einer roten Kuh lange Zeit als eine von Tempelberg-Aktivisten angepriesene Randinitiative betrachtet wurde, zeigen neue Untersuchungen, dass die israelische Regierung nun an diesem Vorhaben beteiligt ist.
Nach Angaben der in Jerusalem ansässigen gemeinnützigen Organisation Ir Amim halfen die israelischen Regierungsbehörden der Tempelberg-Aktivistengruppe Temple Institute und der evangelikalen Organisation Boneh Israel dabei, im vergangenen Jahr fünf Kühe aus den Vereinigten Staaten zu importieren, die für die Opferung der roten Färse verwendet werden sollten.
Das Landwirtschaftsministerium soll dabei geholfen haben, die üblichen Vorschriften zu umgehen, um die lebenden Kühe aus den USA zu importieren, was verboten ist. In einer Pressemitteilung behaupten Boneh Israel und das Temple Institute, sie hätten die Erlaubnis zur Einfuhr der Kühe durch das Landwirtschaftsministerium erhalten.
Auch das Ministerium für Jerusalemer Angelegenheiten und Kulturerbe unterstützte das Projekt. Der Generaldirektor des Ministeriums, Netanel Isaac, teilte in einer Rede bei der Begrüßungszeremonie für die Kühe im September 2022 mit, dass die Behörde die Erschließung des Ölberggebiets finanziert hat, in dem die Aktivisten auf dem Tempelberg das rituelle Opfer der roten Färse durchführen wollen. Darüber hinaus ist das Ministerium an der Überführung der Kühe in ein Besucherzentrum und einen Bauernhof beteiligt, die für das Projekt der roten Färse in der archäologischen Stätte Tel Shiloh im besetzten Westjordanland eingerichtet wurden. Derzeit werden die Kühe in einem Kibbuz (jüdische Gemeinde) im Jordantal gehalten. Eine der Kühe befindet sich jedoch Berichten zufolge bereits im israelischen Siedlungsforschungszentrum.
DIE ROTEN FÄRSEN SIND DA! JETZT ANSEHEN!
Am Donnerstag, den 15. September 2022, um 17.00 Uhr, kamen 5 perfekte, makellose rote Färsen aus den USA in Israel an. In einer bescheidenen Zeremonie an der Entladestation des Frachtterminals am Ben-Gurion-Flughafen wurden die Neuankömmlinge begrüßt und Reden von den unglaublichen Menschen gehalten, die ihr Herz, ihre Seele und ihre Mittel eingesetzt haben, um diesen historischen/prophetischen Tag Wirklichkeit werden zu lassen.
Sehen Sie sich die komplette Zeremonie an! https://www.facebook.com/templeinstitute/videos/627767238738594"
Veröffentlicht von The Temple Institute am Freitag, September 16, 2022.
Ir Amim betonte, dass dieses Projekt zwar von der derzeitigen israelischen Führung vorangetrieben wird, die Unterstützung durch die Regierung aber bereits während der vorherigen Regierung unter den früheren israelischen Premierministern Yair Lapid und Naftali Bennett begann, die als gemäßigter und politisch vielfältiger galt als die derzeitige Koalition von Benjamin Netanjahu.
Der leitende Ir Amim-Forscher Aviv Tatarsky erklärte, noch vor 15 Jahren sei die Idee, dass Juden im Haram al-Sharif [dem "edlen Heiligtum", dem Tempelberg, Anm. d. Übers.] beten, eine radikale Idee gewesen, die von Rechtsextremisten vertreten wurde. Doch jetzt ist sie fest im israelischen Mainstream verwurzelt.
"Der Wandel besteht darin, dass nationalistische und fundamentalistische Ideologien in der israelischen Gesellschaft vorherrschen", sagte Tatarsky. "Sie haben die israelische Gesellschaft erobert."
Die beteiligten israelischen Ministerien und das Temple Institute reagierten nicht auf Bitten um Stellungnahme. Boneh Israel konnte vor Redaktionsschluss nicht erreicht werden.
Gefährliche Implikationen
Trotz des Versprechens der israelischen Regierung, den Status quo an der Al-Aqsa beizubehalten, betonen die am Projekt der roten Färse beteiligten Siedler, dass das Ziel der jüdische Zugang zum Haram al-Sharif ist, um den Dritten Tempel wieder aufzubauen - was die Zerstörung des Felsendoms impliziert.
Während jüdische Siedler zunehmend den Haram al-Sharif stürmen, verbieten viele Rabbiner dies heute, da das alte jüdische Gesetz vorschreibt, dass die Asche der roten Färse das Gebiet reinigen muss, bevor Juden es betreten können. Aus diesem Grund betreten die meisten religiösen Juden das Gelände nicht einmal, und diejenigen, die es doch tun, dürfen nur bestimmte Teile betreten. Mit dem Ritual der roten Färse könnte sich die Zahl der Juden, die Al-Aqsa stürmen, vervielfachen.
"Es könnte dazu führen, dass Hunderttausende von Haredis [ultraorthodoxe Juden] oder Sephardis [spanische Juden] in die Moschee eindringen und einen echten Religionskrieg auslösen", erklärte Dr. Abdallah Marouf, Professor für islamische Geschichte an der Istanbuler Mayis-Universität und ehemaliger Medienbeauftragter der Al-Aqsa-Moschee, gegenüber MintPress News.
Hochrangige Persönlichkeiten, die an dieser Initiative beteiligt sind, haben gegenüber den Medien erklärt, dass das Endziel des Projekts der Wiederaufbau des Dritten Tempels ist, der im Jahr 70 n. Chr. von den Römern zerstört wurde.
"Die Prophezeiungen haben sich bewahrheitet, und die Juden sind zurück in Israel", sagte Byron Stinson, der für die Aufzucht der Rinder und ihre Verbringung nach Tel Aviv verantwortlich ist, gegenüber der Jerusalem Post. "Jetzt müssen sie einen Tempel bauen. Aber das ist wie beim Kauf eines schönen Autos. Wenn du den Schlüssel nicht hast, kommst du nirgendwo hin. Die rote Färse ist der Schlüssel, damit der Tempel so funktioniert, wie er soll."
Stinson gehört zu Boneh Israel und hat auch die Father's House Foundation gegründet, eine steuerbefreite Wohltätigkeitsorganisation in den USA, die Reisen nach Israel organisiert. Neben Stinsons Father's House Foundation sind auch andere steuerbefreite Non-Profit-Organisationen mit Sitz in den USA an diesem Projekt der roten Färse beteiligt, wie der P.E.F. Israel Endowments Fund und Biblical Faith, die Spenden für das Temple Institute entgegennehmen. Boneh Israel wird von Reshit unterstützt, einer israelischen Siedlergruppe unter der Leitung von Tzachi Mamo, einer weiteren Schlüsselperson des Rote-Färsen-Projekts.
Reshit arbeitet derzeit mit dem Ministerium für Jerusalemer Angelegenheiten an der Entwicklung des Projekts "Northern Trail", einer touristischen Wanderroute vom Damaskustor nach Sheikh Jarrah, die Siedlerhäuser und Stätten der jüdischen Geschichte zeigt. Mit der Entwicklung der Route versuchen der Staat und die Siedler, die palästinensische Identität auszulöschen, indem sie bestehende israelische Stätten erweitern. Im Jahr 2023 erhielt die Organisation 17.635 Schekel (rund 4.600 Dollar) vom israelischen Bildungsministerium.
Mamo sagte dem Christian Broadcasting Network, dass er 2011 ein Grundstück auf dem Ölberg gekauft habe, das für die Durchführung des Opfers der roten Färse bestimmt sei.
"Und wir hoffen, dass wir in anderthalb Jahren hier in diesem Gebiet die Zeremonie der roten Färse durchführen können, die tatsächlich der erste Schritt zum Tempel sein wird", sagte Mamo gegenüber CBN.
Nach den von Ir Amim's Tatarsky eingesehenen Grundbuchunterlagen ist das Land unter einer unbekannten Gesellschaft registriert und war ursprünglich im Besitz von Palästinensern.
Die Recherchen von Ir Amim haben außerdem ergeben, dass die Jerusalemer Entwicklungsbehörde derzeit daran arbeitet, eine Promenade auf dem Ölberg zu bauen, die zu dem Ort führt, an dem Mamo das Ritual der roten Färse abhalten will.
Während das Projekt der Roten Fahne darauf abzielt, die jüdische Souveränität über die Al-Aqsa zu erlangen, ist Marouf zuversichtlich, dass das palästinensische Volk für den Erhalt des Status quo kämpfen wird, wie es dies schon in früheren Fällen getan hat, als die Heiligkeit der Al-Aqsa bedroht war.
"Das geschieht jetzt. Das bedeutet jedoch nicht, dass es auch geschehen wird", sagte Marouf. "Ein sehr wichtiges Element in dieser Gleichung ist die palästinensische Bevölkerung in Jerusalem, die sich als Haupthindernis gegen israelische Siedlerrechtsgruppen und die israelische Regierung erwiesen hat."
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