Anfang der Woche haben die Kommentatoren Alex Cristoforou und Alexander Mercouris von The Duran den ehemaligen US Marine Corps Offizier und UN-Waffeninspektor Scott Ritter in ihrem Livestream zu Gast. Wenn ich könnte, würde ich den gesamten Dialog hier übersetzen, Ritters bodenständigen Betrachtungen und persönlichen Erfahrungsberichten zuzuhören ist immer sehr aufschlussreich. Es gab in dem dreistündigen Gespräch viele interessante Punkte, so z.B. Ritters Hinweis darauf, dass der US-Verteidigungsapparat nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die alten Russland-Analysten, zu denen auch Ritter gehörte, nicht länger haben wollte. Mit der Begründung: Man wollte neue Leute, die bei der Analyse des Konkurrenten Russland neu denken - so als hätten die Russen ihre komplette Gefühls- und Erfahrungswelt vergessen und ausgetauscht, bloß weil nun eine neue Flagge über dem Kreml flatterte. Dieser vorsätzliche blinde Fleck bei der Betrachtung Russlands falle den USA laut Ritter spätestens seit letztem Jahr auf die Füße.
Allerdings soll es an dieser Stelle weniger um das technische und berufliche Verständnis gehen, das Ritter einbringt. Vielmehr hatte ich mir beim Zuhören zwei Zitate aus seinen Ausführungen notiert, die ich hier ergänzend zu meiner umfangreichen Anmerkung in der Übersetzung des letzten BBC News-Artikels wiedergeben möchte. Jedes Mal, wenn ich auf Twitter einen Kommentar von Leuten wie etwa NAFO-Sympathisanten lese, die anscheinend glauben, Russland (und China) sei bloß eine Fliege, die der Westen nur aus verweichlichter Zurückhaltung nicht einfach platt mache, dann möchte man ihnen empfehlen, sich mal darüber klarzuwerden, was ihre Rufe nach einer geradezu sozial-darwinistischen Entscheidungsschlacht bis zum bitteren Ende konkret bedeuten:
"Ich will, dass jeder Zuhörer versteht: Jeder Tag, den Sie haben, ist ein Geschenk. Denn wir sind ein Fehler davon entfernt, dass all das hier endet, genau jetzt. Das Bulletin for Atomic Sciences haben diese Doomsday Clock und sie haben sie auf 90 Sekunden gestellt... das ist Mist! Wir haben weniger als 0,001 Sekunde, weil alles, was es braucht, ist ein Fehler. Eine Falschberechnung. Eine Fehleinschätzung. Dann endet das ganze hier, alles endet, alles ist weg. Und wenn Sie nicht jeden Morgen aufwachen und sich vor Angst fast den Darm rauskotzen, dann machen Sie irgendwas falsch. Will heißen, Sie müssen ihre Herangehensweise an das Leben ändern, hören Sie auf darüber zu grübeln, wie Sie sich das nächste Auto kaufen, wie Sie dies und jenes kaufen werden - es geht darum, wie man die Vereinigten Staaten dazu kriegt, wieder einen verantwortungsvollen Einigungsweg mit den Russen zu finden, um eine Waffenkontrolle wiederzubekommen. Denn es gibt heute keine Waffenkontrolle: Der New Start Vertrag ist gleichzeitig da und nicht da, er läuft 2026 aus, und wenn es keinen Ersatz gibt, wird es keine Waffenkontrolle geben, was bedeutet: Dieses Wettrüsten wird außer Kontrolle geraten. Wir alle werden sterben. Das ist nicht bloß ein Spiel. Das ist nicht irgendwas, was Politikwissenschaftler spielen, irgendeine strategische Theorie oder Spieltheorie und sonst was - das hier ist EUER Leben! Das ist euer Leben und das eurer Kinder und Enkelkinder und zukünftiger Generationen... nichts davon wird existieren, falls wir dieses Problem nicht jetzt lösen. Genau jetzt. Heute!"
Vielleicht dämpft das beim einen oder anderen die Kriegsgeilheit soweit, dass auch wieder genug Blut ins Hirn zurückfließt, um sich auf folgenden Gedanken einzulassen: "Wir müssen anfangen, die ukrainischen Männer mit dem gleichen Respekt zu behandeln wie wir es mit unseren eigenen Männern tun. An all die Leute da draußen, die darüber reden, wie toll es sei, gegen Russland zu kämpfen: Hört auf, Ukrainer für euch sterben zu lassen! Wenn ihr ernsthaft glaubt, eine Konfrontation mit Russland müsse sein, dann meldet euch freiwillig und verlangt, dass euer Land noch heute gegen Russland in den Krieg zieht! Jeder Amerikaner, der denkt, es sei gut, Russland zu bekämpfen, sollte antreten, um mit einer amerikanischen Division an die Front zu gehen und den Russen die Stirn zu bieten. Tut, was ein Mann tun würde. Sei ein Mann, geh an die Front und töte die Russen selbst, okay? Lerne, was es bedeutet, Menschen zu töten. Geh da hin und verstehe, dass die Russen dich ebenfalls versuchen werden zu töten und dass es ganz schnell hässlich wird. Und all deine ruhmreichen Vorstellungen von Krieg werden ganz schnell vergehen, wenn das erste Magazin über deinem Kopf hinweggefeuert wird, wenn dein Gesicht das erste Mal im Dreck landet, du dich übergibst, dich einpisst, weil du nicht wusstest, was Krieg ist! Und niemand von euch da draußen, die sich für diesen Krieg aussprechen, weiß, was Krieg ist! Es heißt Menschen töten! Es heißt Leichen! Gedärme, Blut und Schnodder! Es ist ein Junge, der um seine Mutter weint, eine Mutter die um ihr Kind weint - das ist, was Krieg ist! Es ist kein Spaß! Also hören wir bitte auf, über Krieg zu sprechen, als sei es irgendeine Kleinigkeit... ist es nicht. Es ist das schlimmste auf der Welt, es geht darum, dass Menschen andere Menschen töten. Und die Konsequenzen gehen darüber hinaus, man kann nicht mal ansatzweise definieren, was es den Beteiligten antut; was es der Mutter antut, die ihre Kinder ohne einen Vater großziehen muss; was es den Kindern antut, die nicht mehr zur Schule gehen können... haben wir auch nur eine Sekunde mal darüber nachgedacht, was jedem ukrainischem Kind passiert ist, das kein normales Leben mehr hat, das vertrieben wurde, kümmert uns das? Es kümmert uns nicht! Wir kümmern uns um überhaupt niemanden in der Ukraine. Also hören wir auf, über Krieg zu sprechen. Die EINZIGE Lösung ist Frieden und wir müssen diesen Krieg zu einem Ende bringen. Und hier ist das Traurige, die Ironie ist: Wenn der Westen nicht gewillt ist, einen Ausweg zu finden, dann ist die einzige Chance, den Krieg zu beenden, ein russischer strategischer Sieg. Und das ist die größte Tragödie an all dem: Dass der schnellste Weg zum Frieden ist, dass Russland die Ukraine zerstört - weil das die einzige Option ist, die Russland gegeben wird.
... Sorry, dass ich emotional geworden bin."
Ich wüsste nicht, wofür sich Ritter hier entschuldigen müsste...
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